Donnerstag, 1. April 2010

Die Mythen des liberalen Zionismus

Das Buch setzt sich mit den Widersprüchen der israelischen Gesellschaft und der Tatsache auseinander, dass die überwiegende Mehrheit der Israelis die über 40-jährige Besetzung und brutale Unterdrückung des palästinensischen Volkes hinnimmt. Insbesondere ein Teil der „liberalen Zionisten“ zusammen mit ihren Kollegen im Westen, insbesondere in Frankreich, versuchen, nicht nur dieses „Abenteuer“ in Palästina, sondern darüber hinaus im „Greater Middle East“ zu rechtfertigen. Indem sie die kritische Haltung des Antirassismus stigmatisieren, versuchen sie, die Kritik an den Verbrechen, die der Westen über die Völker des Ostens gebracht hat und weiter bringt, zu delegitimieren.

Für Yitzhak Laor, Poet, Schriftsteller und politischer Aktivist, ist ein „liberaler Zionismus“ ein Mythos und ein Widerspruch in sich, weil die „liberalen Zionisten“ glauben, dass Millionen von Palästinensern von ihrem Land weggeschafft werden könnten, man ihnen die Menschen- und Bürgerrechte vorenthalten könne, sie in „Homelands“ oder einem „großen Ghetto“ – Laor bezeichnet den Gaza-Streifen so - einsperren und sie selbst im Namen des Staates töten könne.

Der Autor kritisiert die israelische Selbsteinschätzung, Teil des Westens zu sein. Dieses Image habe viel mit der Schaffung eines „Neuen Menschen“, sprich Sabra, zu tun, und zwar als bewusste Negation des Exils. Dieser „Neue Mensch“ sollte folgende Eigenschaften haben: Mut und Opferbereitschaft, Kühnheit und Arroganz, die sprichwörtliche „israelische Chutzpah“. Darüber hinaus wird der „Sabra“ beschrieben als ein „Opfer“ von Umständen oder Grausamkeiten früherer Generationen. Sein „grausames“ Handeln werde ihm „im Voraus“ verziehen, war er doch die historische Antwort auf das „Rätsel der Jüdischen Geschichte“. Der „Sabra“ bildet auch den Kulminationspunkt in der Debatte über die „einheimische Kultur“ und nicht die wirklichen „Einheimischen“, die Palästinenser.

60 Prozent der Israelis stammen aus arabischen Ländern. Gleichwohl identifiziert sich das Land mit dem Westen, und der Westen sieht Israel als zum Westen gehörig. „Israel ist ziemlich erfolgreich in Europa“, behauptet Laor. Er nennt diese Beziehung „eine verspätete Version der pieds noirs“. (Mit diesem Begriff bezeichnete man die französischen Siedler und arabischen Juden in Algerien L. W.). Diese europäische Identifikation mit Israel funktioniere noch besser durch die „Holocaustkultur“, da sie dem „neuen Europäer eine bessere Erklärung seiner eigenen Identität gegenüber seiner kolonialen Vergangenheit und der postkolonialen Gegenwart liefert“.

Im Kapitel „Die Shoah gehört uns“ schreibt Laor, dass Deutschland das dunkelste Kapitel seiner Geschichte in Form des „Holocaust-Gedenktages“ als Symbol der neuen Identität Europas beigetragen habe. (Der 27. Januar wurde im Gedenken an die Befreiung von Auschwitz als „Holocaust-Gedenktag“ von Bundespräsident Roman Herzog 1996 bestimmt. L. W.) „Seit diesem Zeitpunkt hat der jüdische Genozid einen universalen Platz in der westlichen Kultur, als ob dieser Narrativ schon von Beginn an da gewesen wäre.“ Ein Charakteristikum dieser „neuen Kultur des Philosemitismus“ sei der Versuch, eine „jüdisch-christliche“ Identität zu schaffen. Die als Beispiel angeführten Rabin- oder Ben-Gurion-Straßen klingen aber nicht gerade als überzeugender Ausweis für diese neue Identität. Diese „erfundene jüdisch-christliche Tradition findet keine Entsprechung in der konkreten Geschichte; sie ist eine ideologische Erfindung, beschworen gegen den Islam, in welcher der Jude die Rolle des scheinbar Anderen spielt“. Für den Autor diene diese konstruierte Vergangenheit als eine Tarnung für die neue Islamophobie, die Haltungen wachrufe, die Europa einmal gegenüber Juden gezeigt habe. Die Message sei deutlich: die Muslime müssen sich modernisieren, so werden wie alle anderen, wie Europäer. Chefdenker einer „Ideologie der Ausgrenzung“ sei der französische Philosoph Alain Finkielkraut, der in einem Interview mit der israelischen Tageszeitung „Haaretz“ die „Ideologie des Antirassismus“ wie folgt formuliert habe. „Die edle Idee des Kampfes gegen den Rassismus wurde auf schreckliche Art und Weise in eine falsche Ideologie transformiert. Der Antirassismus stellt für das 21. Jahrhundert das dar, was der Kommunismus für das 20. Jahrhundert war: eine Quelle der Gewalt.“ Finkielkraut unterscheidet weiter zwischen westlichen Demokratien und ihrem Holocaustgedenken einerseits und den „Fortsetzern von Auschwitz“, sprich den nichtdemokratischen Regimes andererseits. Auf Grundlage dieser „Ideologie der Ausgrenzung“ können „die Rechte der anderen“ verletzt werden, so Laor.

In zwei weiteren Kapiteln setzt sich der Autor mit den „Vertretern des israelischen Friedenslagers“ - Amos Oz, David Grossmann und A. B. Yehosuha – äußerst kritisch auseinander. Sie trügen nicht nur zur weiteren Dämonisierung der palästinensischen Sache bei, sondern förderten auch Israels Wunsch, Teil des Westens zu sein und dabei auch vom Nutzen der wachsenden Islamophobie zu profitieren. Laor erklärt die anti-arabischen und anti-muslimischen Images bei Amos Oz als einen Appell an alte koloniale Gefühle des Westens. Die Verachtung gegenüber Arabern und Muslimen interpretiert Laor als „die Rückkehr zum Kolonialen“. Amos Oz wird vom Autor völlig entzaubert und regelrecht vorgeführt. Auf Schritt und Tritt betone Oz in seinen Werken die Überlegenheit der westlichen Zivilisation. Im Gegenzug wurde er von den Europäern „getauft“ als der „Vertreter eines neuen jüdisch-europäischen Volkes“. Neben seiner Furcht vor der „weiblichen Sexualität“ sei die authentischste Sache sein „kolonialer Diskurs“, der auf seiner zionistischen Erfahrung beruhe. „In dem historischen Augenblick, in dem wir leben, hat der Zionismus keine andere Legitimationsgrundlage als die des alten kolonialen Diskurses. Und dies macht auch das ideologische Projekt der hebräischen Literatur aus, das für die Europäer übersetzt wird.“ So können sich die westeuropäischen Eliten leicht mit der anti-arabischen Einstellung und ihrer eigenen Furcht vor der Immigration identifizieren. „Es ist nicht ´nur Politik`, sondern es geht viel tiefer, es ist die grundsätzlich intolerant Natur des Zionismus als eines zeitgenössischen Phänomens“. Laor beschreibt einen Charakterzug von Oz, der im Westen in dieser Form unbekannt ist. Könnte dies etwa an den politisch klugen Verlegern und den noch versierten Übersetzern liegen?

Auch Abraham B. Yehosuha, der im Westen nicht so bekannt ist wie Oz, wird von Laor dekonstruiert. Ein zentrales Merkmal sei sein Hass auf alles Östliche und seinen orientalischen Hintergrund. Yehosuha selber ist Mizrahi, d. h. orientalischer Jude. Laor weist besonders auf die brutale Wortwahl Yehoshuas gegenüber den Palästinensern hin. In einem Interview mit „Haaretz“ vom 18. März 2004, das den Titel „Eine Nation ,die keine Grenzen kennt“ trägt, sagte er in Vorwegnahme des Rückzuges der israelischen Besatzungstruppen aus dem Gaza-Streifen: „Von dem Augenblick des Abzugs will ich ihre Namen nicht mehr kennen, ich möchte keinerlei persönliche Beziehungen zu ihnen mehr haben.“ So sei das Symptomatischste in Yehosuhas Ausfällen – in Israel und auf Hebräisch, aber nicht in Europa – seine Haltung gegenüber den Arabern in Israel. „Die palästinensische Präsenz in Israel stört ihn.“ Ein Aspekt dabei sei deren Identifikation mit dem palästinensischen Volk. Laor bewertet Yehoshuas Roman „Die befreite Braut“ (The Liberated Bride) als „den rassistischsten hebräischen Roman, der in den letzten Jahren geschrieben worden ist“. In diesem Roman seien die Araber in Israel keine Palästinenser. Wenn sie sich wie Palästinenser verhalten, seien sie „Verräter“ oder „Schwachköpfe“. „Der Schwerpunkt dieses Romans liegt darin, die Palästinenser in der Westbank als Knallchargen (buffoons) zu beschreiben.“ Das übergeordnete Thema in diesem Kapitel ist jedoch „der Hass gegenüber Arabern unter den Mazrahi in Israel“.

Obgleich Laor überzeugende Argumente für die Nichtzugehörigkeit Israels zum Westen vorträgt, sieht die politische Realität anders aus. Es vergeht kaum ein Tag, an dem nicht dieser oder jener Politiker gerade die enge Kooperation zwischen Israel und den westlichen Ländern betont. Trotzdem mache sich Israel etwas vor, wenn es immer wieder seine Zugehörigkeit zum Westen betone. Um dies zu verdeutlichen, zitiert der Autor eine Stelle aus dem Theaterstück „Those Who Walk in the Darkness“ von Hanoch Levin, der Israels Wunsch zum Westen zu gehören, als „feuchten Traum“ (wet dream) bezeichnet hat. Die folgende Szene soll dies verdeutlichen:

Lazan Thought: Ich lungere in Luxemburg und Staint Germain herum, sitze im Café de Flore und Brasserie Lipp, schlafe in Hotel Passy, werde in Neuilly sterben und in Père Lachaise beerdigt werden. Und Sie?

Ass Thought: Wir leben in der Gosse ...

Herring Thought: Und wirst in der Kanalisation begraben werden ...

Ass Thought: Aber träumen von Paris.

Der Inhalt des Buches ist ein wahrer intellektueller Genuss. Es sollte umgehend ins Deutsche übersetzt werden.

Eine gekürzte Fassung ist erschienen in: Der Semit. Unabhängige Jüdische Zeitschrift, (2010) 2, S. 73 f.