Dienstag, 12. Oktober 2010

Wider die islamophoben Rattenfänger

Wer sich nach der Sommerpause wieder im österreichischen Fernsehsender „Club 2“ unter dem Titel „Abendland in Gefahr: Kommt der Kampf der Kulturen?“ zu Gemüte geführt hat, musste sich verwundert die Augen reiben. Dieses vom US-amerikanischen Politologen Samuel Huntington propagierte Kulturkampfkonzept wird gerade weltweit in die Praxis umgesetzt; das Fragezeichen hätte nicht nur durch ein Ausrufezeichen ersetzt werden müssen, sondern der Titel hätte lauten müssen: „Der Kulturkampf des „christlichen“ Abendlandes gegen den Islam!“

Seitdem die US-amerikanischen Geostrategen und einige islamisch-reaktionäre Regime die Bedrohung des Westens und ihre eigene Existenz durch die islamische Revolution im Iran im Jahre 1979 festgestellt haben, gibt es eine systematische Dämonisierung des Iran. Das erste Land, das einer solchen Dämonisierung von Beginn der islamischen Rückeroberung des Landes das Wort geredet hatte, war Israel, wie bereits Israel Shahak in seinem Buch „Open Secrets“ 1997 festgestellt hat. An dieser Verteufelung hat sich bis heute nichts geändert. Der Iran, der den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet hat und nach diesem Vertrag ein ziviles Atomprogramm betreibt, wird von westlicher Seite verdächtigt, insgeheim ein Atomprogramm mit dem Ziel des Baus einer Atombombe zu verfolgen. Dafür gibt es bis heute keinerlei Beweise. Selbst die 16 Geheimdienste(!) der USA haben dies 2007 einmütig festgestellt. Die einzige Macht, die gegen diese Einschätzung Sturm lief, war die israelische Regierung im Verbund mit ihren neokonservativen und christlich-fundamentalistischen Helfershelfern in den USA. Aber erst kürzlich ist der CIA-Direktor Leon Panetta von dieser Einschätzung abgerückt, da die USA zusammen mit Israel wahrscheinlich einen Angriff auf dieses Land planen, wenn nicht sogar schon einen solchen beschlossen haben, wie in einschlägigen Medien immer wieder berichtet wird. Über das riesige Atomwaffenarsenal Israels redet der Westen geflissentlich nicht, und Israels Weigerung, dem Atomwaffensperrvertrag beizutreten, wird in diesem Fall als „Quantitè négligeable“ betrachtet.

Die US-Amerikaner haben bereits Anfang der 1980er Jahre versucht, die iranische Regierung zu stürzen, weil sie den „islamischen Fundamentalismus“ als Gefahr für die Stabilität und den Verlust des westlichen Einflusses fürchteten. Ausersehen dafür war kein geringer als der irakische Despot Saddam Hussein, damals noch ein guter Freund der USA. Kein geringer als der spätere Kriegsminister Donald Rumsfeld hat ihm 1983 einen devoten Besuch abgestattet, beste Grüße von US-Präsident Ronald Reagan überbracht und ihm die Lieferung von Giftgas zugesagt, die Saddam dann gegen die Kurden im Nordirak und gegen die iranischen Truppen eingesetzt hat, ohne das Iran mit gleicher Münze zurückgezahlt hätte. Diese Haltung der iranischen Führung ist auch deshalb konsequent, weil alle religiösen Rechtsgutachten der obersten iranischen Führung (Fatwas) Atom- und andere Massenvernichtungswaffen als unislamisch verworfen haben. Der US-amerikanische dominierte Westen erkennt diese ethische Haltung aus rassistischen Gründen nicht an. Man unterstellt der iranischen Führung, nicht nur die Unwahrheit zu sagen, sondern man hält sie auch für „irrational“! Wenn man sich die Entscheidungen der US-amerikanischen Regierung von George W. Bush und dessen Berufungen auf „religiöse“ Eingebungen bei seinen geplanten völkerrechtswidrigen Überfällen auf Afghanistan und Irak ansieht, drängt sich zwangsläufig die Frage auf, wo eigentlich die „Irrationalen“ beheimatet sind?

Dieser Rückblick und die Anschläge vom 11. September 2001 haben wesentlich dazu beigetragen, dass es zu einer solchen aggressiven antiislamischen Haltung in den USA und Westeuropa kommen konnte. Gleichwohl hätte sich diese Islamophobie nicht zu diesem Massenphänomen entwickeln können, wenn es nicht bereits ein „Unbehagen“ gegenüber dem Islam gegeben hätte. Dieses „Unbehagen“ wird in Österreich von einer sich als „Freiheitlich“ bezeichnenden Partei massiv gefördert. Ihr neuster Wahl-„Gag“ lautete: „Sarrazin statt Muezzin“ in Anspielung auf das biologistisch argumentierende Buch „Deutschland schafft sich ab“ des ehemaligen Vize-Präsidenten der Deutschen Bundesbank, Thilo Sarrazins.

In österreichische Talkshows werden dagegen deutsche Journalisten geladen, die ihre antiislamischen Thesen verbreiten können. Der Ex-FAZ-Journalist und Buchautor Udo Ulfkotte hat sich „einen Namen“ damit gemacht, das er in seinen Büchern eine antimuslimische Klaviatur bedient, welche die bereits vorherrschenden Vorurteile gegen diese Bevölkerungsgruppe fördert. Je einseitiger seine Bücher werden, desto geringer wird die Neigung der Verlagslandschaft, solche Produkte zu verlegen. Folgerichtig sind seine letzten Buchveröffentlichungen nur noch im Kopp-Verlag erschienen. So schreibt Sebastian Friedrich am 4. Februar 2010 auf „stadtweb.de“, der Stattzeitung für Südbaden, über den Verlag: „Der Kopp-Verlag auf pseudowissenschaftliche Themen im Bereich der Esoterik spezialisiert. Doch vermehrt werden neben dem bekannten Aushängeschild Erich von Däniken auch Kontakte zu anderen Personen gepflegt. So vertreibt der Verlag Bücher der Revisionisten Jan Udo Holey („Jan van Helsing“) und Gerd Schultze-Rhonhoff. Letzterer behauptet in seinem Buch „1939 – Der Krieg, der viele Väter hatte“, dass Hitler bis zum Herbst 1939 keinen Krieg wollte. Schultze-Rhonhoff ist ein gefragter Interviewpartner für einschlägig bekannte Zeitungen wie der National-Zeitung und der Jungen Freiheit. Außerdem bietet der KOPP-Verlag das von Robert L. Brock herausgegebene Buch „Freispruch für Deutschland“ an, in dem unter anderem der Holocaust-Leugner David Irving als Experte für die Widerlegung „antideutscher Geschichtslügen“ zu Wort kommt.“ Ein Verlag also „zwischen Rassismus, Revisionismus und Verschwörungsphantasien“.

Die Club 2-Sendung lief dem Moderator Michael Köhlmeier völlig aus dem Ruder. Das Chaos, das den Zuschauern/innen geboten worden ist, ist einem überforderten und unzureichend vorbereiteten Journalisten anzulasten. Er „verkaufte“ der Öffentlichkeit Ulfkotte nicht nur als „Sicherheitsexperten“, er wollte auch gerne bestätigt haben, dass er als Gast einen „Terrorexperten“ eingeladen habe, der in Wirklichkeit eher einem Islamophobie-Experten glich. Die diversen westlichen Islamexperten zeichnet aus, dass sie kaum noch ihre eigenen christlich-verwurzelten Gesellschaften adäquat erklären oder begreifen können, um wie viel unzureichender sind ihre „Expertisen“ über die Komplexität der arabischen oder gar der iranischen Gesellschaft. So ist es nicht verwunderlich, dass sie und die so genannten „Think Tanks“ in den USA und anderer westlicher Staaten Zerrbild-Analysen dieser Gesellschaften erstellen, die als Vorlagen für Angriffskriege gedient haben und wieder dienen könnten.

Udo Ulfkotte betreibt neben seiner eigenen Website, die sehr seriös wirkt, eine weitere mit dem Titel „Akte Islam – Für Europa gegen Eurabien“, für die er im Sinne des Presserechts verantwortlich zeichnet. Dort werden unzählige Vorgänge und Beiträge zusammengestellt, welche Vorurteile gegenüber dem Islam fördern können. „Ulfkotte sorgte Ende 2008 für einen Paukenschlag, indem er den von ihm gegründeten Verein „Pax Europa“ aufgrund „volksverhetzender, rassistischer Karikaturen im Stürmer-Stil“ und der Befürchtung, sein gemeinnütziger Verein würde sich zu einer Plattform für „rechtsradikale Radaubrüder“ entwickeln“, verließ. Fachleute beurteilen diese Abgrenzung als einen Schritt rein „taktischer Natur“ und verweisen auf sein Buch „SOS Abendland – Die schleichende Islamisierung Europas“, in dem sich einige krude anti-islamische Stereotypen befänden.

In seinem jüngsten Buch, das wieder im Kopp-Verlag erschienen ist, geht es Ulfkotte u. a. darum, den Sozialstaat als Beute von schmarotzenden Migranten darzustellen. So schreibt er: „Jeder Zuwanderer aus einem nichtwestlichen Land, der zwischen 25 und 35 Jahren alt ist, kostet die öffentliche Hand im Laufe seines Lebens – statistisch gesehen - 40 000 bis 50 000 Euro.“ Dass all die Unzumutbarkeiten, welche die Sozialsysteme zu verkraften haben, nicht öffentlich diskutiert werden können, hat Ulfkotte den „Feind“ bereits ausgemacht: „Wir sind umzingelt von einer Unkultur der politischen Korrektheit, die auf allen Gebieten unseres täglichen Lebens horrende Schäden anrichtet. Es wird allerhöchste Zeit, über diesen ganzen Irrsinn der Migrations- und Integrationsindustrie sowie ihre verkommenen Unterstützter in Behörden, Politik und Medien zu sprechen, und zwar ohne Tabus. Anschließend müssen wir den Schwachsinn ein für allemal abstellen.“

In Deutschland haben immer wieder Politiker aller Parteien (Willy Brandt, Helmut Schmidt, Helmut Kohl, Hans-Dietrich Genscher u. v. a.) vor einer unkontrollierten Einwanderung gewarnt. Geschehen ist anscheinend nichts, wie das Buch von Thilo Sarrazin belegt. Aber diese unkontrollierte Zuwanderung ist nicht nur auf Deutschland beschränkt: es gibt sie in Österreich, Frankreich, den Niederlanden, Italien, Spanien, der Schweiz, Großbritannien, den USA und anderen Industriestaaten. Aber seit dem 11. September 2001 hat dieses Phänomen eine antiislamische Wendung genommen. „Der“ Islam mutierte zum neuen Feindbild des Westens. Seither führt „der“ Westen einen Krieg gegen diesen Kulturkreis, so wie Huntington es „vorausgesagt“ hat.

Mit Thilo Sarrazin hat erstmalig ein Mitglied der bundesdeutschen politischen Klasse die Missstände einer verfehlten Integrationspolitik gebündelt zwischen zwei Buchdeckeln veröffentlicht. Den dort zusammengetragenen unzähligen Richtigkeiten haftet jedoch ein wesentlicher Makel an: ihr Subtext beruht auf einem rassistischen Biologismus, der nicht davor zurückschreckt, die Menschen in verscheidenartige Genotypen einzuteilen („Juden-Gen“). Diese Selbstdisqualifizierung hat Sarrazin persönlich und beruflich schwer geschadet. Nichtsdestotrotz erfreuen sich seine Thesen größter Popularität und werden sicherlich der politischen Klasse eine Debatte aufzwängen, die sie seit Jahren gescheut hat, zu führen, weil es ein „gesellschaftliches Unbehagen“ gegen Muslime und den Islam in allen europäischen Staaten gibt.

Zuerst erschienen in: International. Zeitschrift für Internationale Politik, (2010) 3, S. 33 f.