Samstag, 18. Dezember 2010

Die Farce des “Friedensprozesses” im Nahen Osten

Im Nahen Osten ist zum X-ten-Mal der “Friedensprozess” ausgebrochen, und die US-amerikanisch-dominierte Medienöffentlichkeit ist zum wiederholten Male aus dem Häuschen. Argumente und politische Spitzfindigkeiten werden ausgetauscht und rhetorisch als „seriös“ hin und her gewälzt, als ob es um ein friedliches Nebeneinander des israelischen und palästinensischen Volkes auf Augenhöhe gehen würde. Darum ging es bereits 1993 nicht, als dieser „Friedensprozess“ zum ersten Male auf der internationalen Bühne zelebriert worden ist. Bereits zum damaligen Zeitpunkt war die Unterwerfung des kolonisierten Volkes angesagt. Yassir Arafat, der „Terrorist“ und „Freiheitskämpfer“, wurde von Yitzhak Rabin und US-Präsident Bill Clinton auf der internationalen Bühne als hoffähiger Akteur etabliert, damit er die Sicherheit der Siedler in den besetzten Gebieten und die der Bewohner in Israel proper mit sichern helfen sollte. Diese Rolle hatte er für einige Jahre gut gespielt, bis ihm klar wurde, dass der „Friedensprozess“ keinen Staat „Palästina“ zum Ziel hatte, sondern einen Bantustan. Für den „Präsidenten Palästinas“, Mahmoud Abbas und seine Kumpane, sollte die Geschichte eigentlich eine Lehre sein. Aber wie es scheint, haben die Palästinenser aus der Geschichte mit dem Zionismus nichts gelernt.

Für seine „Dienstleistung“ erhielt Arafat die Insignien eines „Präsidenten“ Palästinas: einige Landstücke seines Heimatlandes zur Selbstverwaltung, eine „Regierung“ mit „Ministern“ und unzähligen „Generaldirektoren“ - alle fürstlich ausgestattet mit Fuhrpark, Handys und üppigen Gehältern, die der Westen als Morgengabe für die fortdauernde Besetzung zur Verfügung gestellt hat, -. eine Fahne, eine Präsidentenlimousine mit Fahnenständer, eine Dudelsackkapelle, die bei „Staatsbesuchen“ „al-Biladi“ (Mein Land) intonieren durfte, eine Briefmarke mit seinem Konterfei, einen Flughafen im Gaza-Streifen, von dem er aber nur für seine Weltumsegelungen mit Genehmigung der israelischen Besatzungsbehörden abheben konnte, „Reispässe“, die nicht zur Ausreise aus den besetzten Gebieten berechtigten, sowie die Weitergabe jedweder Anträge an die „Autonomiebehörde“ zur Genehmigung durch die Israelis. Ironischer Weise begann die aggressivste Phase der Kolonisierung Palästinas erst mit Ausbruch dieses „Friedensprozesses“. Daran hat sich bis heute nichts geändert, im Gegenteil: Es ist alles noch viel schlimmer, ja schlicht katastrophal und zutiefst Menschenunwürdig für die Besetzen und Kolonisierten geworden.

Vor den Zwischenwahlen in den USA mutete US-Präsident Barack Hussein Obama der Welt eine neue Runde dieser Farce zu. Ob man nach der Ohrfeige des Wählers Anfang November vom Obama diesbezüglich etwas hören wird, darf bezweifelt werden. Das Nobelkomitee hat ihm doch schon den Friedensnobelpreis nach einigen Wochen im Amt verliehen. Warum sollte er sich noch anstrengen? Für welche Leistung wurde der erste nicht-weiße US-Präsident ausgezeichnet, fragten sich nicht nur die Obama-Fans? Ein Präsident, der zwei Kolonialkriege seines Vorgängers weiterführt bzw. diese noch ausweitet, die Verliese in Irak, Afghanistan und Guantanamo weiterbetreibt, Schauprozesse von fragwürdigen „Gerichten“ durchführen lässt, wird mit der höchsten moralischen Auszeichnung geehrt, welche zu vergeben ist! Dieses Nobelkomitee hat sogar George Orwell getoppt. Es scheint, als trete Obama die Flucht nach vorne an, um in seiner ersten und vielleicht letzten Amtszeit noch für seine Reputation zu retten, was zu retten ist. Der israelische Ministerpräsident Netanyahu zusammen mit Joe Biden, dem US-amerikanischen Vizepräsident, in die Scharanken gewiesen. Die Abbas-Palästinenser wären gut beraten, nicht mehr auf Obama zu setzen. Dieser endlose Konflikt hat schon viele US-Präsidenten kommen und gehen sehen, und die „Israellobby“ (Mearsheimer/Walt) ist immer noch dieselbe.

Die westliche Staatenwelt hat einen großen Vorteil gegenüber allen autoritären, diktatorischen und totalitären Regimen: ihre freiheitlich-demokratischen Gesellschaften samt deren Werte. Gerade letztere werden aber im augenblicklichen „Friedensprozess“ mit Füßen getreten, weil sie diejenigen ausgrenzt, die über die einzige demokratische Legitimation in Palästina verfügen: die Hamas, wie grotesk es auch klingen mag. 2006 wurde diese Bewegung oder Partei von über 60 Prozent der palästinensischen Bevölkerung in freien, demokratischen, gleichen und geheimen Wahlen als ihre parlamentarische Vertretung gewählt. Erstmalig wurde in der arabischen Welt eine korrupte politische Elite in freien Wahlen von der Macht abgewählt. Anstatt dies zu begrüßen, übernahm der Westen kritiklos die politische Position der israelischen Regierung und verdammte die neue Regierung, obgleich die Kritik des Westens an der alten Abbas-Regierung mehr als berechtigt war. So kritisierte der Westen die palästinensische Führung unter „Präsident“ Abbas wegen deren weitverbreiteter Korruption, ihrer schlechten Regierungsführung und ihrer antidemokratischen Haltung. Trotz dieser berechtigten Kritik an der Abbas-Regierung, missachtete der Westen den freien Willen des palästinensischen Volkes; es hatte nicht so gewählt, wie es sich der Westen vorgestellt hatte. Wurde vielleicht das falsche Volk zu den Wahlurnen gerufen? Was kann der Westen noch mehr tun, als durch seine Haltung die eigenen „westlichen Werte“ so ad absurdum zu führen? Auch im „Atom“-Streit mit dem Iran kommen die doppelten Standards des Westens zum Tragen. Der Iran hat den Atomwaffensperrvertrag unterzeichnet, sich allen Regeln der Atomenergiekommission in Wien unterworfen, trotzdem unterstellt der Westen aufgrund rassistischer Vorurteile gegenüber „den Muslimen“, die iranische Führung spiele nicht mit offenen Karten. Israel ist die viert-stärkste Militärmacht der Welt und wird bedingungslos von der einzigen „Hypermacht“, den USA, unterstützt. Israel hat weit über 200 Atomsprengköpfe, Iran hat Null! Was soll also das Gerede von der Bedrohung Israels?

Präsident Obamas „Glanz“ ist in jeder Beziehung verblasst. In rhetorischer Teleprompter-Brillianz hat er sich an die muslimische Welt gewandt und den israelischen Ministerpräsidenten öffentlich vorgeführt. Beide Male sprang er als Löwe und endete als Bettvorleger. Seine Autorität in den USA ist völlig dahin, nicht nur wegen der Hetzkampagnen der rechtskonservativen Neocons, der kleinbürgerlichen Tea-Party-Bewegung oder der Armageddon-zentrierten christlichen Fundamentalisten. Selbst seine Kollegen/innen im Westen wollen sich in seinem „Glanz“ nicht mehr sonnen. Dies gilt umso mehr für den Nahen Osten, die Ausnahmen bilden „Präsident“ Abbas und die von den USA völlig abhängigen Präsidenten Jordaniens und Ägyptens, die Abhängigkeit der saudi-arabischen Autokratie steht auf einem anderen Blatt. Diese „Amtskollegen“ haben bei der Tagung der Arabischen Liga Anfang Oktober Abbas empfehlen, die „Friedensgespräche“ nicht abzubrechen, sondern aus opportunistischen Gründen aufzuschieben, obgleich es dafür keine Grundlage mehr gibt. Von Netanyahu etwas anderes als politisch-taktische Spielchen Bezug auf Siedlungsstopp zu erwarten, wäre so, als ob man ihn als „Staatsmann“ einstufen würde. Auch 1947/48 pilgerten die palästinensischen Politiker zum „Arab Higher Committee“ nach Kairo und in andere arabischen Hauptstädte, um sich Rat bei einer desolaten arabischen Führung zu holen, die nicht an der palästinensischen Sache, sondern nur daran interessiert war, wie sie den Einfluss ihrer anderen arabischen Rivalen konterkarieren konnte. Eine als „Befreiungsbewegung“ für das palästinensische Volk gestartete PLO, ist - dank des Westens und seiner arabischen Verbündeten - zu einer Karikatur ihrer selbst verkommen. Vielleicht haben sogar die Abbas-Palästinenser vergessen, warum die PLO eigentlich gegründet worden ist. Das westliche Dilemma wird noch durch die Illegitimität von Abbas und seiner „Regierung“ unter Ministerpräsident Salman Fayyad verstärkt. Beiden fehlt jede demokratische Legitimation. Aber kam der Westen nicht immer schon besser mit Despoten aus, nur weil sie als Garanten einer imaginierten politischen Stabilität zu seinen Gunsten betrachtet worden sind?

Dem Westen seien noch einmal folgende völkerrechtlichen Fakten in Erinnerung gerufen: Die im Sechstagekrieg von 1967 eroberten Gebiete - Westbank, Gaza-Streifen, Ost-Jerusalem und die Golan-Höhen -, sind illegal besetzt. Ein Transfer der Bevölkerung des Besatzers widerspricht Artikel 49 der Vierten Genfer Konvention, ebenso der Bau von Siedlerkolonien. Alle Maßnahmen des Besatzers, die nicht dem Wohl der besetzten Bevölkerung sind, gelten als null und nichtig wie z. B. das Abzapfen des Grundwassers, der Raub palästinensischen Landes, die Zerstörung von Wohnhäusern in besetzten Gebieten, die Folter ihrer Einwohner, die totale Abriegelung der Gebiete, die willkürliche Ausreisebeschränkung, der Bau einer acht Meter hohen Mauer oder eines „Sicherheitszaunes“ weitestgehend auf besetztem Gebiet, wie es der Internationale Gerichtshof 2004 in Den Haag in einem Gutachten festgestellt hat. Durch diese völkerrechtswidrige Mauer werden 90 Prozent Rest-Palästinas von Israel eingemeindet. Alle diese völkerrechtswidrigen Maßnahmen der israelischen Besatzungsmacht scheinen den Westen mit seinen „westlichen Werten“ wenig zu interessieren. Übrigens: Das Genfer Abkommen ist für alle Staaten verbindlich. Laut Artikel 1 verpflichten sich alle Vertragsparteien, "das Abkommen unter allen Umständen einzuhalten und seine Einhaltung durchzusetzen." Bestehen im israelischen Fall die „westlichen Werten“ darin, dass jede völkerrechtswidrige Aktion oder jede Verletzung der Menschenrechte mit diesen im Einklang stehen? Wäre dies der Fall, bleibt von der Glaubwürdigkeit „des Westens“ wenig übrig.

Unter den obwaltenden machtpolitischen Umständen wird diese friedenspolitische Farce für einige Zeit auf der internationalen Bühne aufgeführt werden. Sollten die Abbas-Palästinenser einen „Friedensvertrag“ mit Israel unterzeichnen, wird dieser aufgrund mangelnder Legitimität der Unterzeichner und der fehlenden palästinensischen Einheit keinen Tag Bestand haben. Für wen spricht Abbas überhaupt, außer für sich und seine Kumpane? Ob der Westen aber die Aufrechterhaltung einer solchen Abmachung auf Dauer unbeschadet überstehen wird, muss aufgrund historischer Erfahrungen bezweifelt werden. Seine neokolonialen Kriege in Irak und Afghanistan sprechen nicht gerade für rationales politisches Handeln. Ob der Ausweg aus diesem Glaubwürdigkeitsdilemma zur Eröffnung weiterer Kriegsschauplätze wie in Iran, Somalia oder Jemen führen wird, scheint eher einem Taschenspielertrick zu gleichen. Der Westen kämpft nicht wie weiland Don Quijote gegen Windmühlen, sondern gegen eine Hydra. Je mehr „Taliban“ oder „Terroristen“ getötet werden, je mehr erheben sich gegen die US-amerikanischen und israelischen Besatzer. Um dieser Hydra beizukommen, weiten die US-geführten NATO-Truppen den Krieg auf Pakistan aus wie weiland im Vietnamkrieg gegen Kambodscha. Dieses machtpolitische Déjà-vu entbehrt nicht einer gewissen Ironie. Haben die US-amerikanischen Geostrategen einmal darüber nachgedacht, dass einige Völker Zentralasiens und des Nahen Ostens mit den Neuordnungsvorstellungen der USA und ihrer Helfershelfer nicht einverstanden sind? Besetzung und Widerstand sind zwei Seiten derselben Medaille.

Zuerst veröffentlicht, in: Der Semit.