Mittwoch, 24. August 2011

Wo will Deutschland hin?

Auf diese Frage könnte man dem Altbundeskanzler antworten: Endlich ein souveräner Staat zu werden. Ex-Kanzler Helmut Kohl meldet sich in jüngster Zeit immer öfter zu Wort, wenn es um deutsche Außen- und Europapolitik geht. Einmal warnte er, man solle „sein Europa“ nicht kaputt machen. Eine merkwürdige Formulierung. Gehört Europa nicht uns allen? Heute wird ein Interview mit der Zeitschrift „Internationale Politik“ im „Hamburger Abendblatt“ zitiert, in dem Kohl der Bundesregierung bescheinigt, nicht nur keinen Plan und Kompass in punkto Außenpolitik mehr zu haben, sondern das Land sogar aufpassen müsse, dass es nicht alles verspiele, und darüber hinaus müsse die europäische Spaltung verhindert werden.

Waren es nicht Altkanzler Kohl und sein Finanzminister Theo Weigel, die Deutschland die Maastrichter Verträge und in deren Folge den Euro eingebrockt haben, weil es sonst angeblich Krieg geben hätte? „Versailles ohne Krieg“, sozusagen! Die Raison d‘ etre der europäischen Integration in alter Form war mit dem Zusammenbruch des Ostblocks ebenfalls obsolet, so wie es die NATO gewesen ist. Aufgrund Kohls Europa-„Visionen“ und der Wiedervereinigung, die angeblich ohne den Verzicht auf die Währungshoheit über die D-Mark nicht zu haben gewesen wäre, wurde diese ideologisch-begründete Euro-Währung eingeführt, die jeder ökonomischen Vernunft widersprochen hat. Man hat heterogene Ökonomien zusammengezwungen, was für die wirtschaftlichen schwachen Länder nur in Chaos enden konnte. Als abschreckendes Beispiel hätte doch die DDR-Ökonomie gelten können, die an der westlich-kapitalistischen Rosskur kollabiert ist. Der Altkanzler kann zwar jetzt behaupten, dass unter seiner Regierung Griechenland 2001 niemals aufgenommen worden wäre, aber damals wurde Deutschland von einem Außenminister repräsentiert, dessen Europa-Fixierung auf politisch noch abenteuerlicheren Annahmen basierte.

Wenn Kohl weiter behauptet, Deutschland hätte unter seiner Kanzlerschaft niemals gegen den „Euro-Stabilitätspakt“ verstoßen, so darf man zurückfragen, ob dieses politisch volatile Dokument nicht unter seiner Ägide ausgehandelt worden ist. Wie hätte denn Deutschland den vereinbarten Strafmaßnahmenkatalog mit seiner Stimme gegen alle anderen „Sünder“ durchsetzen wollen? Seine Kritik an dem mangelnden Führungs- und Gestaltungswillen dürfte wohl an seine Nachfolgerin, „sein Mädchen“, gerichtet sein, welche die CDU zu einer Randgruppenpartei herunter reformieren wird, wenn nicht baldmöglichst der Souverän seinen Willen kundtut.

Vielleicht hat der Altkanzler noch nicht verstanden, dass das wiedervereinigte Deutschland keinen „Vasallen-Status“ mehr gegenüber den USA einnimmt. Die Schröder/Fischer-Regierung hat erste zögerliche Souveränitäts-Anstrengungen im Zuge des Irakkrieges unternommen, die aber von der Großen Koalition peu à peu sillschweigend wieder zurückgenommen worden sind. Der Politslogan der Rot-Grünen Bundesregierung lautet damals: Politische Entscheidungen würden in Berlin getroffen! Außenminister Guido Westerwelle hat einen ersten souveränen Klimmzug mit der Enthaltung gegen die Einrichtung einer so genannten Flugverbotszone über Libyen unternommen, wofür er von der veröffentlichten Meinung heftig kritisiert worden ist. Aus Mangel an rationaler Begründung des Entschlusses und seines jüngsten Auftretens als quasi Mit-Sieger der NATO-Aggression unter dem Deckmantel einer UN-Sicherheitsratsresolution zum Schutz der Zivilbevölkerung hat er seiner Glaubwürdigkeit in Übermaßen geschadet.

Deutschland verlässt nicht die Grundkonstanten seiner Außenpolitik wie die transatlantischen Beziehungen, das geeinte Europa, die deutsch-französische Freundschaft, wie der Altkanzler meint, sondern es verhält sich nur gemäß seinen nationalen Interessen, und dies müssen die anderen Partner endlich auch akzeptieren, da sie ebenso nach ihren Interessen entscheiden. Wenn dies angeblich zu „katastrophalen Folgen“ führe, dann stimmt etwas Grundsätzliches nicht in Europa und an der Rolle Deutschlands in den internationalen Beziehungen.

Der „Irrweg von Maastricht“ war die Aufgabe deutscher nationalstaatlicher Souveränität in Form der D-Mark und in dessen Folge der Zustimmung zur Aufnahme der schwachen Länder als Mitglieder einer europäischen Gemeinschaftswährung. Die „Oliven-Koalition“ hätte niemals Teil eines europäischen Währungsraumes werden dürfen, da schon bei den Eingangskriterien nicht alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Um den Euro zu retten, müssen die währungspolitischen Fußkranken der Eurozone diese verlassen und ihre nationalen Währungen wieder einführen, weil deren Schulden laut Maastrichter Verträge nicht sozialisiert werden dürfen und Deutschland aus Eigeninteresse es nicht zulassen darf, dass Europa zu einer Transferunion wird, für die der deutsche Steuerzahler aufkommen muss. Wem gegenüber ist eigentlich der deutsche Souverän verantwortlich, und auf welches Dokument hat die Bundeskanzlerin ihren Eid abgelegt?

Helmut Kohl entwirft wieder einmal ein Horrorszenario, wenn er der deutschen politischen Klasse keine Entscheidungsalternative lässt. So sei die Hilfe für Griechenland notwendig, „wir haben keine Wahl, wenn wir Europa nicht auseinanderbrechen lassen wollen“. Andere finanziell Hilfsbedürftige stehen bereits bereit: Spanien, Portugal, Italien, Irland, vielleicht sogar Frankreich. Soll Deutschland auch einen europäischen Föderalismus alimentieren, der vertraglich gar nicht existiert? Oder warum soll man aufgrund politischer Entscheidungen den nachfolgenden Generationen die finanziellen Lasten aufbürden, wie Bundespräsident Christian Wulf in seiner Rede vor Nobelpreisträgern am Bodensee betont hat? Warum soll eigentlich die arbeitende Bevölkerung für die unverantwortliche Zockerei der Finanzoligarchen bezahlen? Warum sollen nicht einige Banken über die Wupper gehen?

Vielleicht erinnert sich Altkanzler Kohl noch an seine Worte, die er am 23. April 1998 im Deutschen Bundestag gesprochen hat: „Ich bin überzeugt, dass die Erfolgsgeschichte der D-Mark in unserem Land mit einer Erfolgsgeschichte des Euro weitergeht (…) Die Vorzüge, die wir mit der D-Mark erarbeitet haben und an der D-Mark - zu Recht – schätzen, gehen nicht verloren. (…) Meine Damen und Herren, der Euro und die Europäische Währungsunion sind in gar keiner Weise ein unkalkulierbares Risiko (…) Meine Damen und Herren, nach der vertraglichen Regelung gibt es keine Haftung der Gemeinschaft für die Verbindlichkeiten der Mitgliedstaaten und keine zusätzlichen Finanztransfers.“ Herr Altbundeskanzler: Ein „bail-out“ für bankrotte Staaten ist laut den Maastrichter Verträgen und ihren eigenen Worten nicht vorgesehen.

Europa brauche aktuell ein „beherztes Zupacken und ein Paket vorausschauender, klug gewogener und unideologischer Maßnahmen, mit dem wir Europa und den Euro wieder auf einen guten Weg bringen und für die Zukunft absichern“, sagte der Altkanzler. Ja, und zwar die Trennung von den „Oliven-Ländern“ und einen Nord-Euro, der ähnlich ökonomisch verfasste Staaten wie Deutschland und Frankreich umfasst. Nicht Ideologie ist gefragt, sondern rationale Interessenabwägung im Interesse der jeweiligen Nationalstaaten.