Montag, 14. Mai 2012

Die palästinensische Katastrophe – al-Nakba

Der Traum Theodor Herzls von einem „Judenstaat“ ging 50 Jahre nach dessen Veröffentlichung mit der Gründung des Staates Israel am 15. Mai 1948 in Erfüllung. Dieser „Traum“ von einer angeblichen Rückkehr nach einem 2000-jährigen Exil entpuppte sich für die Bewohner Palästinas jedoch als Albtraum, der als "Palestine Nakba" in die Geschichte eingegangen ist und bis heute andauert. Die zionistische Bewegung hatte es auf diplomatischem Wege erreicht, dass ein angebliches „Land ohne Volk“ an ein „Volk ohne Land“ durch die Teilungsresolution der Vereinten Nationen rechtmäßig übertragen worden ist, ohne die ursprünglichen Besitzer überhaupt zu fragen, ob sie die Hälfte ihres Landes und Besitzes einfach weggeben wollten. So wurde durch eine UN-Resolution aus einem „Volk mit Land“, ein „Volk ohne Land“, und zwar das palästinensische Volk. „Palästina“ wurde von der Landkarte getilgt („Palestine“ was wiped off the map). 

Die bevölkerungspolitische Tragödie, die sich um die Staatsgründung Israels ereignete, würde man nach heutiger Terminologie als „ethnische Säuberung“ bezeichnen. Palästinas Bevölkerung wurde in kürzester Zeit von 900 000 auf 160 000 reduziert. 500 Dörfer und Städte wurden dem Erdboden gleichgemacht. Die Palästinenser, die im neugegründeten Staat Israel blieben, wurden einem brutalen Militärregime unterworfen, das ihren Alltag und die Bewegungsmöglichkeiten stark einschränkte. Bis heute können viele der „intern Vertriebenen“ Palästinenser in Israel nicht in ihre Dörfer zurückkehren, obgleich einigen von ihnen das durch das Oberste Gericht Israels zugestanden worden ist. Daneben gibt es eine große Anzahl von so genannten nicht anerkannten Dörfern, die offiziell in Israel gar nicht existieren und über keine nennenswerte Infrastruktur verfügen. Die Beduinen, die ebenfalls israelische Staatsbürger sind, zählen dazu. Eine zweite Vertreibungswelle ereignete sich im Zuge des Sechstagekrieges von 1967, in dessen Folge noch einmal 300 000 Palästinenser vertrieben worden sind. Im Gegensatz dazu haben die israelischen Regierungen während ihrer 45-jährigen Besatzungsherrschaft 500 000 Israelis wider das Völkerrecht in die palästinensischen besetzen Gebiete transferiert; auf Teilen der besetzten Gebiete wurde eine völkerrechtswidrige Mauer bzw. Sicherheitszaun errichtet. 

Die israelischen Regierungen ermutigen ihre palästinensischen Staatsbürger am israelischen Unabhängigkeitstag, dem 15. Mai, der zionistischen Kolonisierung ihres Landes und der Zerstörung des historischen Palästina zu gedenken. Den palästinensischen Schulkindern in Israel wird nur die zionistische Geschichtsauffassung beigebracht, die nur Verachtung für deren kulturelles Erbe übrig hat. Die Nakba wird mit keinem Wort erwähnt.

Die Maßnahmen der zionistischen Bewegung und die Politik der israelischen Regierungen zielten immer auf das Verschwinden alles Arabischen in Palästina ab. Von Anbeginn der Kolonisierung wurden arabische Orte „hebräisiert“, und die biblische Umbenennung erreichte unter David Ben-Gurion einen Höhepunkt. Geradezu krampfhaft versucht das politische und intellektuelle zionistische Establishment Israels seinen Anspruch auf Palästina zu „beweisen“, wohlwissend, dass dies nur ein religiöser Mythos ist, der völkerrechtlich keine Bedeutung hat. Selbst das „jüdische Volk“ wurde vom israelischen Historiker Shlomo Sand als eine „Erfindung“ bezeichnet. Daneben gibt es eine beachtliche jüdische Bewegung, die den Staat Israel als wider die Lehre des Judentums gerichtet, strikt ablehnt. 

David Ben-Gurion irrte, als er meinte, die Alten werden sterben und die Jungen vergessen. Aus diesem „Traum“ wurde ein Alptraum für das politische Establishment Israels. Der Schlüssel, das Symbol für den legitimen Anspruch des palästinensischen Volkes auf Rückkehr in seine Heimat, ist allgegenwärtig, selbst auf der 7. Berlin Biennale ist der „Key of Return“ ausgestellt. Der Anspruch des Rechtes auf Heimat für die Palästinenser scheint von allen anerkannt zu werden, außer der westlichen Staatengemeinschaft, da diese zu einem über 60-jährigen Anspruch auf Selbstbestimmung und begangenem Unrecht immer noch schweigt.

Der Schlüssel zur Lösung des Nahostkonflikts ist das palästinensischen Flüchtlingsproblems, sprich die Ereignisse, die mit dem Begriff Nakba (Katastrophe) bezeichnet werden. Dieses Trauma verbindet die israelischen Palästinenser, die im Exil lebenden Flüchtlinge und die unter israelischer Besatzung lebenden Palästinenser gleichsam. Auch die Israelis sind durch den Holocaust traumatisiert. Die gegenseitige Anerkennung beider Traumata könnte ein erster Schritt sein. „Während der Holocaust ein Ereignis in der Vergangenheit ist“, wie Nur Masalha in seinem überaus lesenswerten Buch „The Palestine Nakba“ schreibt, endet die Nakba nicht 1948, sondern setzt sich durch die andauernde Kolonisierung und die Vertreibung der Menschen in den von Israel besetzen palästinensischen Gebieten bis heute fort.

Vielleicht bedenkt das politische Establishment des Staates Israel die Worte Martin Bubers, die dieser im März 1949 bei einem Besuch David Ben-Gurions in dessen Haus in Tel Aviv gesprochen hat: „Wir müssen die Realität sehen, dass Israel weder unschuldig noch erlöst worden ist. Und dass bei seiner Entstehung und Expansion wir als Juden das, was wir historisch erlitten haben, wiederum erzeugt haben, nämlich ein Volk von Flüchtlingen in der Fremde.“ Leider gibt es im „Heiligen Land“ keine Propheten mehr, sondern nur noch „religiös“ verblendete Nationalisten. Die Nakba bleibt die offene Wunde des Nahostkonflikts.