Dienstag, 1. Oktober 2013

Netanyahu „A wolf in wolf’s clothing“?

Cartoon von Carlos Latuff.
Die Rede des israelischen Ministerpräsidenten Benyamin Netanyahu war keine, die zu Optimismus oder Friedfertigkeit Anlass gibt. Gerade hat die internationale Diplomatie über die Kriegsbefürworter sowohl was Syrien als auch Iran betrifft, einen Etappensieg errungen, gießt Netanyahu durch sein aggressives Auftreten vor der UN-Generalversammlung neues Öl ins Feuer. Er drohte Iran, es notfalls auch allein zu überfallen. „Israel wird es dem Iran nicht erlauben, Nuklearwaffen zu besitzen. Wenn Israel allein tätig werden muss, dann wird es das tun.“ Somit hat sich Netanyahu selber aus dem diplomatischen Prozess hinaus katapultiert. Er will, dass die USA zusammen mit Israel Iran überfallen und seine Nuklearindustrie zerstören, damit Israel die alleinige Hegemonie über den gesamten Nahen und Mittleren Osten behält. Ein nuklearer Iran wäre wie „50 Nordkoreas“, so Netanyahu. Iran besitzt aber keine einzige Atombombe und strebt auch nicht danach. Israel dagegen hat zirka 300 Atombomben und fünf U-Boote, die atomar bestückt sind, dank deutscher Hilfe. Von wem geht eigentlich die Gefahr aus?

Netanyahu scheint kein seriöser Politiker zu sein. Er genießt nicht den größten Respekt unter seinen internationalen Amtskollegen, wie die Einschätzung von Nikolas Sarkozy im November 2012 deutlich zeigt. „Ich kann ihn nicht ausstehen.“ Der ehemalige französische Präsident nannte ihn sogar einen „Lügner“. Obama entgegnete: „Sie haben ihn satt, aber ich habe mit ihm jeden Tag zu tun.“ Netanyahu scheint durch sein politisches Getöse einfach zu nerven. Er scheint zwar noch die von AIPAC gesponserten US-Senatoren auf seiner Seite zu haben, aber nach neuesten Umfragen wollen 85 Prozent der US-Amerikaner eine diplomatische Lösung und keine kriegerische, um die strittigen Fragen mit Iran zu lösen. Wer einen anderen Staatschef "Wolf im Schafspelz" oder sogar dessen Vorgänger "Wolf im Wolfspelz" bezeichnet, über den wird die Geschichte nach dieser UN-Rede einfach hinweggehen. 

Wie lange will sich eigentlich die internationale Staatengemeinschaft die Chuzpe Netanyahus noch bieten lassen? Ihm steht kein Recht zu, anderen Staaten mit einer Aggression zu drohen und von ihnen zu verlangen, dass sie ihr fiktives Nuklearprogramm „total demontiert“ müssen, weil Israel selbst ein geheimes Atomprogramm unterhält, das keinerlei Kontrolle durch die IAEA unterliegt. Israel hat im Gegensatz zu Iran den Atomwaffensperrvertrag nicht unterzeichnet und weigert sich, seine Atomanlagen internationaler Kontrolle zugänglich zu machen, wohingegen Irans Nuklearanlagen einer strikten Kontrolle durch die IAEA unterliegen. Darüber hinaus verfügt Israel über große Mengen biologischer und chemischer Waffen. Es hat zwar die Chemiewaffenkonvention unterzeichnet, aber nicht ratifiziert. Auch diese Depots können nicht international kontrolliert werden. 

Beweise oder gar die „Wahrheit“ über ein iranisches Nuklearprogramm konnte Netanyahu vor der UNO nicht präsentieren, wie er noch vor seiner Abreise aus Jerusalem angekündigt hatte. Auch der berüchtigte israelische Geheimdienst Mossad weiß, dass Iran kein Nuklearprogramm unterhält. Dies wissen selbst die 17 US-Geheimdienste. Gleichwohl reden sowohl Netanyahu als auch Obama, als ob es deren Expertisen gar nicht gebe. 

Anstatt Netanyahu abblitzen zu lassen, drohte Obama dem Iran wieder mit  militärischen Mitteln, obgleich er vor der UNO und in einem persönlichen Telefonat mit Irans Präsidenten Hassan Rohani versöhnliche Töne angeschlagen hat und auf Diplomatie setzt. Es scheint, als sei er unter dem Druck Netanyahus wieder einmal eingeknickt. Obamas Verhalten ist politisch schwer einzuschätzen, was sich schon in der Syrienkrise gezeigt hat. 

Wie es scheint, ist die politische Vernunft augenblicklich nicht in Washington oder Tel Aviv zuhause. Vergleicht man den Beitrag von Russlands Präsidenten Vladimir Putin in der New York Times und Präsident Rohanis Rede vor der UN-Generalversammlung und dessen Interview in der Washington Post mit den Statements von Obama und Netanyahu, so drängt sich dieser Eindruck unmittelbar auf. Obama müsste Putin eigentlich dankbar sein, dass er ihn vor einem Syrienkrieg bewahrt hat. Sein Gerede von den „roten Linien“ ist politisch verantwortungslos. Wäre nicht eine „rote Linie“ im Falle Israels eher angebracht, weil das Land seit 1967 ein anderes Volk kolonisiert und dessen Existenzgrundlage systematisch zerstört, sowie ein brutales Besatzungsregime in Palästina etabliert hat, das wider das Völkerrecht und die Menschenrechte verstößt? 

Israel hat in der politisch aufgebauschten iranischen Nuklearfrage eigenartige Verbündete gewonnen, und zwar die reaktionärsten arabischen Regime wie Saudi-Arabien, die Vereinigten Arabischen Emirate und Bahrain. Sie sprechen sich alle gegen eine Annäherung zwischen den USA und Iran aus. Saudi-Arabien, Katar und die anderen arabischen Despotien drängen die USA, dass Assad-Regime zu stürzen, um die Verbindung Irans zur libanesischen Hisbollah zu unterbinden. Die arabischen Despoten sind auch die Financiers der diversen fundamentalistischen Terrorgruppen, die in Syrien Massaker unter anderem an Alewiten, Kurden und Christen begehen und Giftgas eingesetzt haben, um die USA und Frankreich in einen Krieg zu verwickeln.

Das israelische politische Establishment hat auf die Charmeoffensive des neuen iranischen Präsidenten geradezu hysterisch reagiert. Mit Mahmud Ahmadinedschad war für sie die Welt noch in Ordnung. Ihn konnte man dämonisieren ("Wolf in wolf's clothing"), weil er durch seine politischen absurden Statements alle Vorurteile des Westens gegen Iran bestätigt hat. Vergleicht man jedoch einmal die Äußerungen Rohanis mit denen Ahmadinedschads in Bezug auf das iranische Nuklearprogramm, so sagen beide das gleich: Jedem Land steht das Recht auf friedliche Nutzung der Nukleartechnologie zu. Alle führenden iranischen Politiker haben immer wieder betont, nicht nach Nuklearwaffen zu streben. Sie haben diese Waffen immer aus religiösen und ethischen Motiven abgelehnt und sich für einen atomwaffenfreien Nahen und Mittleren Osten ausgesprochen. Das einzige Land, das sich diesen politischen Forderungen widersetzt, ist Israel. Dass der Westen immer wieder Zweifel an den Aussagen der religiösen Repräsentanten des Iran äußert, zeigt seinen Rassismus gegenüber diesen Menschen. Selbst der nicht-weiße US-Präsident ist gegen diesen Rassismus nicht gefeit. Von einem Dialog auf Augenhöhe mit Iran ist der Westen noch meilenweit entfernt.