Montag, 23. Februar 2015

Die Krise des Zionismus und die Ein-Staat-Lösung

Die Geschichte der Lösungsversuche der Palästina-Frage läuft auf die Minimierung der Rechte der Palästinenser hinaus. An der Frage des Rechtes auf Rückkehr und des Rechtes auf Selbstbestimmung wird dies besonders deutlich. Seit den Verträgen von Oslo, die den so genannten Friedensprozess in Gang gesetzt haben, sind auch diese Rechte perdu. Die von der internationalen Staatengemeinschaft favorisierte Zwei-Staaten-Lösung an der Seite Israels ist ein Wunschtraum geblieben. "Alles deutet darauf hin, dass es überhaupt keine Lösung der Palästina-Frage geben wird, solange der Zionismus weiter besteht", schreibt Petra Wild. In der Tat bildet diese Ideologie das zentrale Hindernis für eine Lösung des Nahostkonflikts zusammen mit der noch bedingungslosen Unterstützung des kolonialen zionistischen Siedlungsprojektes durch die USA und einige Staaten der Europäischen Union. Der Expansionismus bilde einen wesentlichen Teil der "Staatsräson" des Zionismus.

Das Buch besteht aus zwei Teilen. Im ersten werden Themen wie der Oslo-Prozess, der zionistische Siedlerkolonialismus, die Risse im zionistischen Konsens infolge der zweiten Intifada, der Libanonkrieg und die Gaza-Massaker, die zum Verlust des Mythos der Unbesiegbarkeit beigetragen haben, die demographische Krise und der Verlust einer israelisch-jüdischen Mehrheit auf dem Gebiet des historischen Palästina sowie die allmähliche Abkehr der US-amerikanischen und der europäischen Judenheit von Israel behandelt. 

Die Autorin weist auf die Unvereinbarkeit zwischen Liberalismus und Zionismus hin. "Beautiful Israel" war immer eine Fata Morgana und hat sich zum "Albtraum" entwickelt. Der liberale Zionismus sei dem Untergang geweiht, da seine Vertreter sich entscheiden müssen zwischen zionistischen und liberalen Positionen. "Beides geht - trotz aller Verdrängungs- und Rationalisierungsversuche - nicht mehr zusammen. Heute kann kaum übersehen werden, dass das israelische Herrschaftssystem den Kriterien der Apartheid entspricht und für viele liberale Juden ist die Unterstützung eines solchen Systems der reinste Horror." Diese "liberalen" Zionisten haben nur zwei Möglichkeiten, so Wild, entweder sie hören auf, liberal zu sein und bekennen sich offen zu Apartheid und ethnischer Säuberung, wie Benny Morris und Avi Shavit, oder sie hören auf, Zionisten zu sein. Das die Probleme erst mit der Restbesetzung Palästinas im Jahr 1967 begonnen hätten, sei ein Mythos und die Lebenslüge der so genannten liberalen Zionisten.

Die "schweigende Mehrheit" der US-Juden wende sich von Israel ab und suche eine neue Identität jenseits von Israel. Sie wendeten sich jüdischen Diaspora-Kulturen zu und seien nicht länger bereit, die Gräueltaten einer rechtsextremen israelischen Regierung zu verteidigen. Folglich sagen immer mehr Juden nicht nur in den USA "Not in our Name" (Nicht in unserem Namen). Organisationen wie "Jews for a Just Peace" (Jüdische Stimme für einen gerechten Frieden) und zahlreiche andere haben großen Zulauf. Die Autorin verweist auch auf den alltäglichen Rassismus in Israel. Neben "Tod den Arabern" oder "Araber ins Gas", die oft von rechtsextremistischen Siedlern skandiert werden, bedienen sich große Teile der politischen Klasse Israels eines offenen Rassismus. Dieser ist aber jeder ethnozentrischen Ideologie inhärent. Die Diaspora-Kulturen zeigen, wie vielfältig jüdisches Leben tatsächlich ist. Im Gegensatz dazu ist der Zionismus eindimensional und militaristisch und zielt auf die "Negation und Liquidierung der Diaspora" ab.

Dass Zionismus und Judentum sich wie Feuer und Wasser verhalten hat Yakov M. Rabkin, Professor an der Universität von Montreal, in seinem Buch "A Threat from within. A Century of Jewish Opposition to Zionism" mehr als deutlich gemacht. Und dieser Widerstand existiert bis heute. Dieses Buch scheint der Autorin in ihrer langen bibliographischen Aufzählung aber entgangen zu sein. 

Der zweite Teil des Buches befasst sich mit der internationalen BDS-Kampagne. (BDS=Boykott, Desivestment und Sanktionen) und dem Weg zu einer Ein-Staat-Lösung. Die BDS-Kampagne wurde 2005 federführend von Omar Barghouthi ins Leben gerufen und verfolgt folgende Ziele: die Beseitigung der Apartheidstruktur, unter der die israelischen Palästinenser leiden; die Beendigung der militärischen Besatzung und der Kolonialpolitik in den seit 1967 besetzten Gebieten; und die Verwirklichung des Rückkehrrechtes, die Entschädigung der vertriebenen Palästinenser und deren Nachkommen. BDS orientiert sich an der südafrikanischen Boykottkampagne und wird von über 170 palästinensischen Organisationen sowie antizionistischen Israelis und Juden getragen. Am Ende soll ein bi-nationaler, demokratischer Staat in ganz Palästina stehen, in dem Juden, Muslime und Christen gleichberechtigt leben können. Nur ein demokratischer und säkularer Staat könne, so die Autorin, nicht nur die Rechte der Palästinenser auf Selbstbestimmung und Rückkehr, sondern auch die erworbenen Rechte der Israelis garantieren. Diese Ein-Staat-Lösung könne auch den seit 130 Jahren schwelenden Konflikt lösen. 

Durch die erstarkende BDS-Kampagne fühlt sich nicht nur die israelische Regierung, sondern auch ihre unzähligen Hilfstruppen weltweit in die Enge gedrängt. Sie unternehmen alles gegen diese so genannte "Delegitimierung" Israels, übersehen dabei aber, dass der größte Delegitimierer die israelische Regierung selber ist. "Die BDS-Kampagne vermochte es mit der Zeit, eine emanzipatorische Gegen-Hegemonie zur zionistischen kulturellen Hegemonie zu entfalten", schreibt Wild. Nicht ohne Grund laufen zionistische Organisationen und die israelische Regierung dagegen Amok und hantieren mit dem Vorwurf des "Antisemitismus" wie Netanyahu in seiner Rede vor der letztjährigen AIPAC-Konferenz in Washington. Die Autorin beschreibt detailliert die diversen Boykott-Kampagnen und zeigt, wie die BDS-Bewegung nicht nur international immer stärker wird, sondern zunehmend auch Erfolge aufweisen kann. Nicht ohne Grund habe der ehemalige Botschafter Israels in den USA, Michael Oren, BDS bereits nach dem israelischen Massaker im Gaza-Streifen 2009 als eine "existentielle Bedrohung" genannt. 

Ebenso minutiös wie die BDS-Kampagne wird die Entwicklung zu einer Ein-Staat-Lösung von der Autorin beschrieben. Nach Unterzeichnung der Osloer Verträge habe Edward Said einen Einheitsstaat für Israelis und Palästinenser vorgeschlagen. Aufgrund des fortgesetzten Siedlungsbaus und des Landraubs untergräbt Israel systematisch eine Zwei-Staaten-Lösung, zu diesem Ergebnis sind zwei prominente Israelis gekommen - Haim Hanegbi und Meron Benvenisti. Auch der US-Historiker Tony Judt habe Israels ethnokratischen und kolonialen Charakter kritisiert und das Land einen "Anachronismus" und "dysfunktional" genannt, was ihm heftige Attacken der zionistischen Lobby eingetragen habe. 

Die Autorin weist auf die Bereitschaft der Vertreter der Ein-Staat-Lösung für einen historischen Kompromiss hin, wie ihn Ali Abunimah, der bekannteste Vertreter formuliert hat. Wie im Falle Nordirlands oder Südafrikas sei eine "politische Heirat" zwischen Unterdrückten und Unterdrückern notwendig. Eine Versöhnung zwischen beiden könne jedoch erst nach der "Heirat" erfolgen. Die Zeit für eine Zwei-Staaten-Lösung möge zwar auslaufen, wie John Kerry oder William Hague meinen, aber die israelische Regierung unternimmt alles, um Israel noch jüdischer zu machen als es ohnehin schon ist, indem es ein Gesetz verabschieden will, das Israel exklusiv als "jüdischen Staat" festschreiben soll. Dass damit der "demokratische" Charakter des Staates endgültig ad acta gelegt wird, scheint die Regierung wenig zu stören. 

Die Idee der Ein-Staat-Lösung, wie sie die Autorin beschreibt und befürwortet, hat einen gewissen Charme, aber auch einen großen Haken. Die zionistische Bewegung wurde nicht ins Leben gerufen, um die Probleme der autochthonen Bevölkerung in Palästina zu lösen, sondern um für das "jüdische Volk" einen Staat zu gründen, in dem es vor Verfolgung und Antisemitismus sicher leben kann. Dass es anders gekommen ist, als es sich die Vertreter der zionistischen Bewegung ausgedacht haben, ist der Politik der diversen israelischen Regierungen und den inhärenten Widersprüchen der zionistischen Ideologie geschuldet.

Zu einer Ein-Staat-Lösung wird es nicht aufgrund von BDS kommen, sondern nur durch aktives Zutun der israelischen Regierungen. Der wichtigste "Verbündete" der BDS-Bewegung ist Benjamin Netanyahu, der alles tut, um Israel entweder in den Abgrund zu führen oder Groß-Israel, das heißt, die Ein-Staat-Lösung im Sinne Israel zu vollenden. Ob am Ende ein demokratischer Staat oder nur ein Apartheidstaat im historischen Palästina existieren wird, bleibt eine offene Frage. 

Petra Wilds Buch hat erstmalig in überzeugender Art und Weise die Argumente der komplexen BDS-Kampagne und der Vertreter der Ein-Staat-Lösung dargestellt. Ein überaus wertvolles und lesenswertes Buch, das alle am Nahostkonflikt Interessierten lesen sollten. Es ist zu hoffen, dass es die befangene und schräge deutsche Debatte beflügeln wird.

Erschienen auch hier.

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