Donnerstag, 30. Juni 2016

Europa zerbricht am Euro

Das Referendum der Briten gegen die EU hat nicht nur die Mitgliedstaaten dieses Staatenverbundes, sondern auch die britische Innenpolitik ins Chaos gestürzt. Im Zuge dieser chaotischen Verhältnisse versucht nun der Vorsitzende des EU-Politbüros, Jean-Claude Juncker, das höchst umstrittene Abkommen CETA (=Comprehensive Economic and Trade Agreement) mit Kanada durch die Hintertür an den nationalen Parlamenten vorbei durchzudrücken. Bei CETA handelt es sich um den illegitimen Bastard von TTIP, dem so genannten Transatlantischen Freihandelsabkommen zwischen dem US-Imperium und der EU, das als Ziel die Beseitigung der letzten Reste von Demokratie in Europa hat. 

Dass dieses antidemokratische, selbstherrliche und absolutistische Gebaren einer gegenüber niemanden verantwortlichen Politikerkaste die Abneigung gegenüber der EU weiter verstärkt, scheint Juncker "schnurzegal" zu sein. Nicht der Ausgang des Referendums scheint das Problem Europas zu sein, sondern EU-Funktionäre vom Schlage Juncker und Martin Schulz. Der Satz "Wenn es ernst wird, muss man lügen“ scheint Junckers Charakter am besten zu beschreiben. Dass sich Juncker jetzt so extrem voreingenommen gegenüber Großbritannien verhält, ist auf David Camerons Aussage zurückzuführen, dass er Juncker für die "falsche Person" als Leiter des EU-Politbüros halte. 

Als der Euro am 1. Januar 2002 in zwölf EU-Mitgliedsstaaten eingeführt wurde, versprachen die Konstrukteure dieser Währung den Bürgern das Blaue vom Himmel. Wirtschaftliche Prosperität, sozialer Wohlstand und solidarische Politik sollten fortan das Leben der EU-Untertanen bestimmen. Inzwischen ist die Eurozone auf 19 Mitgliedsländer angewachsen. Dies spricht nicht unbedingt für die Attraktivität dieses Modells, sondern eher für die angeblichen Vorteile, die sich die Ländern aus einer Mitgliedschaft versprochen haben. Ökonomische Schwergewichte wie Großbritannien und Schweden verweigerten sich von Anfang an dieser schönen neuen Eurowelt. Wie sich bald gezeigt hat, war dies eine weise Entscheidung. 

Der Euro war von Beginn an kein ökonomisches, sondern eine hoch politisches Projekt, das sich gegen Deutschland richtete. Auf Druck Frankreichs musste Helmut Kohl für die Zustimmung zur Einheit Deutschlands einen politischen Preis zahlen, und dieser bestand in der Opferung der D-Mark und der Deutschen Bundesbank. Das französische Projekt der Europäischen Union sollte durch die Zerschlagung der deutschen Währung vollendet werden und die Herrschaft Frankreichs über Europa zementieren. 

Wie so oft kommt es anders, als man denkt. Heute ist Deutschland die dominierende Macht Europas und der französische Präsident firmiert als Merkels "Vizekanzler". Merkel hat die EU durch ihre unverantwortliche "Offene-Grenze-Politik" in die größte Krise ihres Bestehens geführt. Diese Politik hat den Ausstiegs-Befürwortern in Großbritannien das entscheidende Argument geliefert. Sollte das EU-Politbüro in Brüssel auf einer Quotenregelung für die Verteilung von Flüchtlingen bestehen, fliegt die EU auseinander und die Eurozone hinterher. 

Eine gemeinsame Währung können sich vielleicht Länder leisten, die sich auf einem ähnlichen ökonomischen- und Produktivitätsniveau befinden. In dieses neoliberale Währungsprojekt wurden aber aus politischen Gründen auch Länder aufgenommen, die sich auf dem wirtschaftlichen Niveau von Schwellenländern befinden. Der Euro entpuppte sich als neoliberales Schockprogramm zur Senkung von Löhnen und Sozialleistungen. Er fügt sich kongenial in das von Bill Clinton und seinen Wall-Street-Boys entworfene liberale Wirtschaftsprogramm ein, das die Arbeiterschaft und die Mittelklasse zum Nutzen der Finanzoligarchie in die Armut treibt. Die von der EU auf Druck Deutschlands durchgesetzten Sparprogramme drücken die Lebensverhältnisse in den Ländern wie Griechenland, Spanien, Portugal und Italien auf Schwellenländer-Niveau. 

Stefan Hinsch und Wilhelm Langthaler haben mit ihrem Buch "Europa zerbricht am Euro" nicht nur eine exzellente Kritik der Wirtschafts- und Herrschaftsideologie des Neoliberalismus, sondern auch eine geopolitische Analyse geliefert, die Ihresgleichen sucht. Die Autoren legen die Widersprüchlichkeit dieses Projektes offen und stellen sich auf die Seite der "Verdammten dieser Erde", und zwar der millionenfachen Opfer der von Deutschland dominierten EU-Politik. Ihr emanzipatorisches Politikverständnis erstreckt sich von politischer Demokratie, über soziale Gerechtigkeit mit einer starken Neigung zur Gleichheit bis zur kulturellen Selbstbestimmung.

In elf Kapiteln zerpflücken die Autoren nicht nur jedes Argument, das von den Protagonisten des Neoliberalismus vorgetragen wird, sondern beschreiben auch die Entstehungsgeschichte des Gebildes, das man heute Europäische Union nennt, überaus detailliert und kenntnisreich. Sie überzeugen dabei nicht nur durch Ihre ökonomische Sachkenntnis. sondern auch durch ihre politische und geostrategische Weitsicht, die gerade vielen Vertretern der Leitmedien abgeht, da sie nur die Meinung der herrschenden Klassen und des Großen Bruders jenseits des Atlantiks unkritisch widerkäuen. 

Letztendlich zeigen die Autoren auf, dass der Kampf um Europa zwischen den Befürwortern eines "Superstaates" und denen, die für eine nationalstaatliche Lösung eintreten, stattfindet. Dass es sich dabei nicht um den Nationalstaat des 19. Jahrhunderts handeln kann, versteht sich von selbst. Folglich lautet auch die zentrale These der Autoren, "dass sich gegen die supranationale Zentralisierung der von Berlin geführten kapitalistischen Eliten eine mächtige Tendenz zur Rückkehr zur nationalen Souveränität anbahnt, der sich die peripheren Eliten nur mit Schwierigkeiten entgegenstemmen können."

Zum Glück handelt es bei den beiden Autoren nicht um solche Linken, die aus einer stärkeren Betonung nationalstaatlicher Kompetenzen gleich auf einen Rückfall in den Nationalismus schließen. Ein solcher Rückschluss war schon immer ein Trugschluss. Sie weisen gleichwohl auf die Instrumentalisierung der Nationalstaatsidee durch politisch rechte Bewegungen hin, die ihr Süppchen auf den Migranten und der Islamophobie kochen. Zu Recht weisen Hinsch und Langthaler auf die Tradition des nationalstaatlichen Denkens innerhalb der linken Bewegungen hin, da diese das Volk mit der Nation gleichgesetzt haben, das als Antipode zu den herrschenden Klassen begriffen worden sei. 

Gerade in Frankreich existiert eine starke Identität von Volk und Nation, die die französischen Präsidenten aus einer übertriebenen Germanophobie mit der Erzwingung des Euro zerstört haben. Gerade der Front Nationale unter Marine le Pen betont immer wieder diese Identität, um so ihre Kritik an der EU nationalistisch zu überhöhen. Um Frankreich aus der Euro-Front zu brechen, "bedarf es in Frankreich einer richtiggehenden Revolution gegen die herrschenden Eliten, um eine Abkehr vom Euro und von der EU zu erzwingen". 

Auch die Autoren konstatieren, dass ein Zusammenbruch des Euro-Währungsregimes zu erheblichen Turbulenzen und zu unabsehbaren Auswirkungen für Europa und die Welt führen könnte. Ein Zusammenbruch des EU-Projektes, das auf Globalisierung und Neoliberalismus beruht, würde die Glaubwürdigkeit der politischen Eliten in Europa völlig zerstören. Ein solcher Kollaps der EU wäre vielleicht noch politisch dramatischer als der Zusammenbruch der Sowjetunion, da er in den Staaten auf ein Führungsvakuum stoßen würde, das dann von nationalen Eliten gefüllt werden könnte. Eine solche neu gewonnene "nationale Souveränität bedeutet gleichzeitig auch eine Rückkehr der Politik, der sozioökonomischen Gestaltung im Interesse der subalternen Bevölkerungsschichten, jedenfalls eine qualitative Infragestellung des 'There is no alternative'".

Da es für die Autoren unter der obwaltenden Staatenarchitektur der reichsten kapitalistischen Länder weder einen sozialen Ausgleich noch Demokratie geben kann, "bleibt nur der Weg zurück zum (National)staat". Dieser biete wenigstens ein Forum dafür und könne plausible historische Belege vorweisen. Das erfordere jedoch eine multipolare Weltordnung, die Spielräume für Selbstbestimmung eröffne. Mit diesem Faktum konfrontiert, "steht die supranationale europäische Integration als Teil der Globalisierung unter US-Führung vor einer Zerreisprobe". 

Wer eine exzellente Analyse über die Entstehung der von den USA ins Werk gesetzten europäischen Idee und deren realpolitische Ausformung in Gestalt der EU und des Euro sowie einer Kritik der Globalisierung, der Ideologie des Neoliberalismus und deren deutsche Herrschaft über Europa lesen will, muss zu diesem Buch greifen.